„The Blair Witch Project“ – Wie ein Film die Weichen für mein Leben stellte

Steffen Anton, 27.11.2024


Am 25. November 1999 startete der Found-Footage-Horrorfilm „The Blair Witch Project“ in den deutschen Kinos. Zwei Tage später, also vor genau 25 Jahren, fand in einem kleinen Kino im thüringischen Mühlhausen meine eigene Erstsichtung statt. Neben „Jurassic Park“ ist dies für mich und meinen weiteren Lebensweg einer der bedeutendsten Filme überhaupt. Warum das so ist, und was das Ganze mit meiner Faszination für das Schreiben zu tun hat, möchte ich im Folgenden erzählen. 

Mein Tagebucheintrag und das Kinoticket.
Mein Tagebucheintrag und das Kinoticket.

Schon Monate vor dem Kinostart wurde der Film im damals noch jungen Internet auf äußerst originelle Weise beworben, indem die Macher suggerierten, dass die beschriebenen Ereignisse tatsächlich stattgefunden hatten. Ich hatte im Vorfeld bereits jede noch so kleine diesbezügliche Information verschlungen und war vollkommen gebannt von der Geschichte der drei Filmstudenten, die angeblich in den Wäldern bei Burkittsville, Maryland verschwunden waren. Dementsprechend groß war meine Vorfreude auf den Kinobesuch. Die eigentliche Sichtung ließ mich völlig überwältigt zurück: Selten hatte ich mich derart gegruselt und war gleichermaßen fasziniert von der ungewöhnlichen Machart eines Films. Auf meine damalige Freundin hatte die Geschichte einen ebensolchen Eindruck gemacht und sie war sichtlich geschockt und wütend, als ich das Auto auf dem Heimweg vom Kino mitten in einem dunkeln Wald plötzlich stoppte, die Lichter ausschaltete und sie mit diebischer Freude angrinste.

 

Auch in den folgenden Wochen ließ mich der Film nicht los und so beschloss ich, meine Gedanken hierzu in Form einer Filmkritik niederzuschreiben. Um zu verstehen, welche Bedeutung das hatte, ist es wichtig, meine damalige persönliche Situation zu kennen.  

Vom Geisteswissenschaftler zum Bankkaufmann

Dieser Artikel erschien am 21. Dezember 1999 in der Thüringer Allgemeinen.
Dieser Artikel erschien am 21. Dezember 1999 in der Thüringer Allgemeinen.

Im Oktober 1998 hatte ich an der Universität in Göttingen ein Magisterstudium in den Fächern Geschichte, Publizistik und Soziologie begonnen. Seinerzeit war ich mir jedoch leider nicht ganz über meine Ziele im Klaren und sah andere Dinge als wichtiger an. Ich schwänzte die Vorlesungen und ließ mich immer seltener an der Uni blicken. Und so kam es, dass ich mich nach dem zweiten Semester dazu entschloss, das Studium vorzeitig abzubrechen und stattdessen eine Ausbildung zum Bankkaufmann zu beginnen. Warum ich mich für diesen Job entschieden habe, kann ich bis heute nicht genau sagen. Waren Deutsch und Geschichte doch eigentlich meine bevorzugten Schulfächer gewesen, während Wirtschaft und Mathe in meiner Rangliste eher hinten standen. Zudem schrieb ich schon damals für mein Leben gern die verschiedensten Arten von Texten.
Wie dem auch sei, glücklich war ich mit dem Studienabbruch nicht. Das Gefühl, „es nicht geschafft zu haben“, lastete schwer auf mir. Diesen Komplex versuchte ich vor allem in der zweiten Hälfte des Jahres 1999, also unmittelbar nach der vorzeitigen Beendigung des Studiums, auszugleichen, indem ich nun besonders fleißig Texte produzierte. Einige davon schickte ich an unsere lokale Zeitung, die „Thüringer Allgemeine“. Und siehe da, sie wurden sogar veröffentlicht. So schlecht konnte ich also doch nicht sein.

Meine erste Filmkritik

Mit diesem Fax versuchte ich mein Glück bei der TA – leider erfolglos.
Mit diesem Fax versuchte ich mein Glück bei der TA – leider erfolglos.

Kommen wir zurück zum „Blair Witch Project“. Ich schrieb also ein paar Zeilen zum Film nieder und schickte diese ebenfalls wieder an die Zeitung. Leider wurde dieser Text jedoch nicht veröffentlicht. Wenn ich ihn mir heute durchlese, dann ist mir auch klar warum dies so war, damals jedoch war ich enttäuscht.
Dennoch wohnte diesem Moment etwas Besonderes inne, denn in der Folgezeit wurde das Verfassen von Filmkritiken für mich zu einer Art Hobby. Das gipfelte schließlich in der Veröffentlichung mehrerer Bücher im Eigenverlag mit meinen gesammelten Werken. Mein Schreibstil wurde immer geschliffener, und letztlich schaffte ich es sogar, mich nebenher als freier Redakteur bei verschiedenen Printmagazinen zu betätigen. Nur das abgebrochene Studium war mir nach wie vor ein Dorn im Auge. Daher habe ich vor einigen Jahren ein nebenberufliches Fernstudium in Kulturwissenschaften begonnen und es dauert nun nicht mehr allzu lange, dann habe ich doch noch meinen akademischen Abschluss. In einer Bank arbeite ich ebenfalls nicht mehr, sondern – als Texter! Es war also die richtige Entscheidung, damals eine Filmkritik zu „The Blair Witch Project“ zu verfassen. Der Film zählt übrigens heute noch zu meinen liebsten Horrorfilmen.


Ich möchte Euch meinen Text von 1999 nun nicht vorenthalten, daher habe ich ihn nachfolgend einmal abgetippt. Die Rechtschreibfehler habe ich bewusst nicht entfernt.

 

The Blair Witch Project

The Blair Witch Project! Ein Film mit einem solchen Titel regt normalerweise nicht mein Interesse an. Meist versteckt sich dahinter ein weiterer schlecht gemachter Horrorstreifen, in dem einige Teenies von einem Massenmörder verfolgt werden. Und dieser Verdacht schien sich auch zu bestätigen, als ich hörte, dass es um drei Filmstudenten geht. Jedoch wurde ich neugierig auf den Höhepunkt einer geschickt gemachten Werbekampagne, die mit einer Internetseite begann.

Die jungen Filmemacher Eduardo Sanchez und Daniel Myrick hatten nämlich schon Monate vor dem US-Kinostart im Netz Gerüchte über die Hexe von Blair verbreitet, die im 18. Jh. ihr Unwesen trieb, und zur Spuklegende wurde. Und niemand wußte genau, ob die besagten Filmstudenten, die auszogen, um einen Dokumentarfilm darüber zu drehen und spurlos verschwunden waren, reale Personen oder reine Fiktion waren.
Das lockte natürlich viele Menschen in die Kinos, so daß der Film ein vielfaches seiner lächerlichen Produktionskosten von 50000 Dollar einspielte.
Ausgestattet mit diesem Vorwissen und auch mit dem von den Medien schon im Vorfeld verliehenen Prädikat „bester und zugleich seltsamster Horrorfilm der vergangenen Jahre“ im Kopf begab ich mich also ins Kino.
Mit der bestens bekannten Prämisse („3 Studenten verschwanden spurlos im Wald, dies ist das Filmmaterial, das sie zurückließen...“) am Anfang wird man mit dem Film allein gelassen.
Was sofort auffällt, ist das ungewöhnliche Äußere: anstatt dem üblichen 16:9 erblickt man das typische, fast quadratische Format, das entsteht, wenn man mit einer normalen Videokamera filmt. Der halbdokumentarische Stil soll damit natürlich noch authentischer gemacht werden, was auch gelingt. Dies wird auch dadurch unterstützt, daß die Aufnahmen verwackelt und teilweise unscharf sind, wodurch man fast den Eindruck hat, man sei live dabei.
Man freut sich regelrecht darauf, mit Heather, Michael und Joshua, so die Namen der Studenten, auf die Suche zu gehen. Anfangs werden Einwohner des kleinen Ortes Burkittsville/Maryland (an dieser Stelle existierte früher das besagte Dorf Blair) befragt. So erfährt der Zuschauer etwas über die Vorgeschichte und die Legende der Hexe. Dann wird es ernst: die Amateurfilmer begeben sich in die Wälder, um dort dem Spuk auf den Grund zu gehen. Im Laufe des Films lernt man die drei immer besser kennen, und es kommt zu Konflikten zwischen ihnen, die sich immer weiter zuspitzen. Aber das ist natürlich nur nebensächlich, denn schnell stellt sich heraus, daß die Gerüchte nur allzu wahr sind. Nächtliche Geräusche wie Schreie oder das Lachen von Kindern und seltsame Zeichen an den Bäumen machen den Studenten das Leben zur Hölle. In solchen Fällen wird das Bild meist noch verwackelter, teilweise sieht man nur Baumkronen und Beine. Aber gerade dadurch wird eine unheimliche Stimmung erzeugt, die ihresgleichen sucht.
Als dann auch noch Joshua verschwindet, scheint es sich endgültig bewahrheitet zu haben: etwas ist in den Wäldern, etwas das nicht normal ist! Die letzten Minuten sind dann das, was man einen Alptraum nennen kann, bis hin zu dem krassen, verstörenden Ende, über das die meisten wohl noch lange nachdenken werden.
Trotz der Tatsache, daß man im gesamten Film keine Musik hört, (der Abspann ist zum Beispiel mit den seltsamen Geräuschen aus dem Wald untermalt) ist er einer der spannendsten, die ich seit langem gesehen habe.
Die Regisseure haben das geschafft, was selten jemand geschafft hat: mir einen Schrecken einzujagen, und das mit den einfachsten Mitteln! (ein Drehbuch in dem Sinne existiert ebenfalls nicht, von Filmschnitt kann keine Rede sein)
Man hätte sich nur gewünscht, daß die „gruseligen“ Szenen noch etwas ausgedehnter wären. Denn den größten Teil des Films bilden die Wanderungen bei Tage und Streitigkeiten untereinander.
Trotz dieser Kritik kann ich den Film jedoch jedem uneingeschränkt empfehlen. Die Machart ist absolut einzigartig und man ist fast geneigt, die Geschichte wirklich zu glauben. Das wird wohl auch durch die unbekannten Darsteller bewirkt, deren wirkliche Namen übrigens im Film verwendet wurden. Bleibt nur zu hoffen, daß die Macher des Films sich nicht dafür entscheiden, eine Fortsetzung zu drehen, oder daß eine wahre Welle von Nachahmern auf uns hereinbricht.

 

Das ist sie also, meine erste Filmkritik. Im Nachhinein betrachtet liest sich sich teilweise eigentlich doch ganz okay. Leider ist jedoch das genaue Szenario meiner am Ende geäußerten Befürchtung eingetreten.