Zehn Gründe, warum Bakshis Version des „Herrn der Ringe“ die gelungenste Verfilmung von Tolkiens Vorlage ist

(zumindest in den ersten 60 Minuten)

Steffen Anton, 28.09.2024


Peter Jacksons Verfilmung von J. R. R. Tolkiens „Der Herr der Ringe“ ist nicht zu Unrecht eine der erfolgreichsten Filmserien aller Zeiten, und das sowohl bei Fans als auch bei den Kritikern. Die Zuschauerzahlen sowie die Flut an Oscars sprechen hier eine eindeutige Sprache.
Ich selbst habe die Bücher bereits in der Mitte der 1990er-Jahre zum ersten Mal gelesen und bin froh über diesen Umstand. Konnte ich mir doch von den Figuren und Schauplätzen ein eigenes Bild machen, ohne durch die Optik eines Films beeinflusst zu sein. Wobei das auch nicht so ganz richtig ist. Denn parallel zur Lektüre des ersten Buches fand damals auch meine Erstsichtung der Zeichentrickversion statt, die Regisseur Ralph Bakshi bereits im Jahr 1978 erschaffen hatte. 

Für mich stellt dieser im Rotoskopie-Verfahren entstandene Film bis heute die bessere Adaption des Stoffes dar. Zumindest die ersten 60 Minuten vermitteln das perfekte Tolkien-Flair und fangen die Stimmung der Bücher, wie ich sie seinerzeit empfunden hatte, exakt ein. Man merkt leider, dass den Machern am Ende etwas das Geld und die Zeit ausgingen und so fühlt sich die zweite Hälfte leider nicht mehr ganz so rund an. Zudem wurde die Geschichte auch nur zu ungefähr 50 Prozent verfilmt, eine am Ende des Films mehr oder weniger in Aussicht gestellte Fortsetzung gab es nie.

 

Da mein Herz bis heute für den Zeichentrickfilm schlägt, möchte ich an dieser Stelle zehn Gründe präsentieren, warum ich ihn für die gelungenere Umsetzung des Fantasy-Epos halte. Dieser Text ist natürlich sehr subjektiv geschrieben und erhebt keinerlei Anspruch auf Allgemeingültigkeit.

 

Die Neun!
Die Neun!

1. Das Intro und der Soundtrack

 

Zu Beginn des Films wird der Schriftzug „Der Herr der Ringe“ eingeblendet, dazu erklingt die von Leonard Rosenman geschriebene Titelmelodie. Diese versetzt den Zuschauer direkt in die passende Stimmung und stimmt auf die bevorstehende epische Handlung ein. Es existiert fast nur dieses eine Thema, welches jedoch immer wieder variiert wird, um sich den einzelnen Szenen  anzupassen. Das kann ruhig-verspielt sein, aber auch wuchtig-bedrohlich. und funktioniert hervorragend. Ich habe nichts gegen Howard Shores Vertonung der Jackson-Trilogie, aber diese klingt doch arg nach vielen Soundtracks aus dieser Zeit, seien es nun James Horners Klänge zu „Titanic“ oder „Braveheart“ oder Hans Zimmers „Gladiator“-Score. Ein bisschen Folk hier, ein bisschen Gefühl und Pomp da, fertig ist die Melodie, aus der die Blockbuster sind. Da ist mir Rosemmans Werk wesentlich lieber. Interessanterweise hat der Komponist die Musik in nur leicht abgewandelter Form für „Star Trek IV“ einige Jahre später nochmals verwendet. Zum Intro bleibt noch zu sagen, dass es mit seiner scherenschnitthaften Gestaltung die Vorgeschichte auf eine überaus passende Weise erzählt.

 

Jedes Bild ist wie ein Gemälde.
Jedes Bild ist wie ein Gemälde.

2. Die Landschaftsbilder

 

Mein Gott, was liebe ich die Bilder dieses Films. Ein jedes davon mutet an, wie ein romantisches Gemälde eines Caspar David Friedrich. Das fängt bei dem Blick auf Hobbingen an, und geht bei der späteren Wanderung der Hobbits weiter. Zudem gibt es diese wunderbare Sequenz, als der Wechsel der Jahreszeiten im Auenland in schneller Folge gezeigt wird. Das Winterbild wird seit vielen Jahren während der Weihnachtszeit von mir als Facebook-Titelbild verwendet.

 

Gandalf
Gandalf

3. Gandalf!

 

Ich bin ein großer Fan von Ian McKellens Darstellung des Zauberers in Jacksons Filmen. Aber bei Bakshi wird Gandalf in meinen Augen noch werkgetreuer dargestellt, mit allem, was dazu gehört. Also als alter Mann mit langem grauen Bart und einer großen Hakennase. Gelegentlich etwas mürrisch, aber dennoch liebenswert und manchmal furchterregend. Genauso wurde er von Tolkien beschrieben, oder zumindest von mir vorgestellt.

 

Gandalf erzählt Frodo vom Ring.
Gandalf erzählt Frodo vom Ring.

4. Das Kapitel „Schatten der Vergangenheit“

 

Das wohl wichtigste Kapitel des Buches ist „Schatten der Vergangenheit“. Das liegt daran, dass hier viel Exposition stattfindet, in der Gandalf Frodo die Hintergründe und Geschichte des Ringes erläutert. Bei Jacksons Filmen kommt mir dieses ein wenig zu kurz und ist auch etwas hektisch umgesetzt. Bei Tolkien sitzen Frodo und Gandalf am Frühstückstisch, während der Zauberer dem Hobbit alles erklärt. In Bakshis Film nun wurde dieses Gespräch zwar gekürzt, aber dennoch sehr atmosphärisch und teilweise fast wortwörtlich umgesetzt.

 

Die Hobbits brechen auf.
Die Hobbits brechen auf.

5. Das Auenland/Der Aufbruch der Hobbits

 

Die Beschaulichkeit des Auenlands hat Jackson zwar gut vermittelt. Aber ihm scheint es nur um Schauwerte zu gehen, nach dem Motto "guck mal, was wir für tolle Sets aufgebaut haben". Generell ist bei Tolkiens Werk der Pace am Anfang ja noch eher behäbig, es geht um die vier Freunde, die eine fast beschauliche Wanderung durch das Auenland unternehmen und bei der sich nur langsam etwas Unangenehmes einschleicht. Im Kopf hatte ich als Leser dabei die ländlichen Gegenden Englands. Genau diese Passagen sind es, die mir die liebsten sind. Es sind nur einige kurze Sequenzen, in denen das bei Bakshi gezeigt wird, und doch fühlt es sich genauso an, wie für mich bei der Lektüre des Buches. Bei Jackson wurde diese Stimmung weniger gut eingefangen, wohl auch, weil hier neben den bereits erwähnten Schauwerten verstärkt der Schwerpunkt auf Action (Stichwort: Bauer Maggot) und Humor gelegt wurde. Überhaupt verkommt Pippin bei Bakshi nicht zum „Comic Relief“, wie es bei Jackson der Fall ist. Die Beziehung zwischen den vier Hobbits ist in den Büchern jedoch nicht durch Comedy geprägt, sondern eher durch eine warmherzige Zuneigung und allenfalls eine feine Ironie ab und an.

 

Die erste Begegnung mit einem Nazgul.
Die erste Begegnung mit einem Nazgul.

6. Die Nazgul

 

Die Nazgul sind wohl die furchterregendsten Gegner der Hobbits. Bei Jackson wurde diese Bedrohlichkeit und Fremdartigkeit meiner Meinung nach nicht gut genug vermittelt. Die schwarzen Reiter wirkten irgendwie aufgeplustert und wenig gruselig. Bei Bakshi jedoch sind die Nazgul genau das, was sie meiner Meinung nach sein sollen. Es sind röchelnde, hinkende, fauchende, hagere Gestalten mit leuchtenden Augen. Und jede Sequenz mit ihnen mutet fast surreal an, um die Welt zu zeigen, in der sie sich bewegen. Bei Jackson hingegen sind es einfach ein paar Typen auf dem Pferd mit schwarzem Umhang.

 

Elrond wie es sich gehört.
Elrond wie es sich gehört.

7. Der generelle Look der Protagonisten

 

Wer hat eigentlich gesagt, dass Aragon lange Haare und einen Bart haben soll? Und wer hat gesagt, dass Elben wie die tanzenden Vampire aus dem gleichnamigen Musical daherkommen sollen? Also mit wallender Mähne, die zuvor mit einem Glätteisen bearbeitet wurde? Tolkien hat es zumindest nicht gesagt, aber es wird seit Jacksons Filmen irgendwie für Kanon gehalten. Daher war der Aufschrei bei der „Herr der Ringe“-Serie von Amazon groß, als Elrond plötzlich eine modische Kurzhaarfrisur trug. Bei Bakshi jedoch ist Aragorn bartlos. Und Elrond hat im Gegensatz zu seinem bei Jackson von Hugo Weaving dargestellten Pendant feine Gesichtszüge, wie man es von einem Halbelben erwarten würde. Und sowohl er als auch Legolas haben: kurzes Haar. Warum auch nicht? Dass Aragorn keine Hose trägt und Boromir einen „Wikinger-Helm“: geschenkt!

 

Die Minen von Moria.
Die Minen von Moria.

8. Moria

 

Was hatte ich mich auf Moria gefreut als Jacksons Film ins Kino kam. Und wie enttäuscht war ich am Ende. Es sieht zwar durchaus beeindruckend aus, wenn man riesige Hallen und endlose Abgründe hat, die nur mit Leitern oder Brücken zu überwinden sind. Aber stellt man sich so ein ehemaliges Bergwerk oder Minen vor? Da bevorzuge ich dann doch die klaustrophobische Darstellung wie sie bei Bakshi zu sehen ist. Denn genau so hatte ich mir Moria immer vorgestellt.

 

Die Orks greifen an.
Die Orks greifen an.

9. Die Orks

 

Orks sind etwas Fremdartiges, da sind wir uns sicher einig. Aber sollte das bedeuten, dass sie billige Latexmasken tragen, als wären sie einer Serie der 1990er-Jahre entsprungen? Man könnte fast meinen, Jacksons Orks wären direkt bei „Buffy“ engagiert worden. Bei Bakshi wirken die Orks hingegen finster und bedrohlich. Jeder Ork sieht etwas anders aus, aber allen ist gemein, dass man ihnen nur ungern nachts begegnen würde. Manche haben lange Fangzähne, andere sind untersetzt. So stelle ich mir Orks vor.

 

Der Balrog – furchteinflößend und fremdartig.
Der Balrog – furchteinflößend und fremdartig.

10. Der Balrog

 

Der Balrog in Bakshis Film wurde von Kritikern als löwengesichtiges Etwas beschrieben. Das mag sein, aber seine Darstellung gefällt mir. Die Wucht, mit der er landet, seine riesigen Schwingen, sein außerweltliches Gebrüll, all dies passt ganz wunderbar. Der Balrog von Jackson hingegen wirkt generisch, so als ob er einem Videospiel wie „Diablo“ entsprungen wäre: Ein paar Flammen hier, ein paar Hörner dort. 

 

Wie ich schon erwähnt hatte, fällt Bakshis Film nach der Moria-Sequenz ein wenig ab. Die Szenen in Lothlorien sind noch ganz nett anzuschauen und auch Gollum wurde gut umgesetzt. Aber sämtliche Szenen in Rohan, und diese bilden nun mal den Schwerpunkt der Handlung in diesem Teil des Films, fühlen sich sich nicht mehr gut und sehr oberflächlich an. Das wiederum passt nicht zur wunderbaren ersten Hälfte des Films. Nach gut zwei Stunden kommt es dann zudem zu einem abrupten Ende der Handlung. Im Jahr 1980 wurde von der Firma Rankin/Bass zwar ein Streifen mit dem Titel "Return of the King" produziert, dieser hat stilistisch jedoch nichts mit Bakshis Film zu tun.

 

Ich möchte an dieser Stelle betonen, wie sehr ich Jacksons Trilogie mag. Dieser Text soll daher auch kein Verriss seiner Version sein, sondern eher eine Liebeserklärung an Bakshis Film. Wer ihn noch nicht kennt, sollte diese Lücke dringend schließen.

Die DVD und eine echte Rarität: die Foto-Novel zum Film.
Die DVD und eine echte Rarität: die Foto-Novel zum Film.